Aktuelles aus dem Bundesgericht:
Die Aargauische Pensionskasse ist dem Vergaberecht unterstellt

Bundesgerichtsentscheid 2C_6/2016 vom 18. Juli 2016, zur Publikation vorgesehen

lic. iur. Claudia Schneider Heusi, L.L.M, Fachanwältin SAV für Bau- und Immobilienrecht 

Das Bundesgericht hat entschieden, dass die Aargauische Pensionskasse als kantonale Anstalt dem Vergaberecht unterstellt ist und die von ihr benötigten Leistungen, so insbesondere für den Bau oder die Sanierung ihrer Liegenschaften, nicht vergaberechtsfrei beschaffen kann. Der Kanton Aargau regelt die Unterstellung von Auftraggebern strenger als andere Kantone. Der Entscheid kann nicht unbesehen auf andere Versicherungskassen angewendet werden. Was das Bundesgericht mit seinem Entscheid geklärt hat und was offen bleibt, ist Gegenstand der nachfolgenden Urteilsbesprechung.

Inhaltsübersicht:

I.  Einleitung

II. Der Entscheid

    1. Sachverhalt

    2. Urteil Vorinstanz

    3. Erwägungen des Bundesgerichts

        a. Eintretensvoraussetzungen

        b. Prüfung der Unterstellung

III. Bemerkungen

     1. Die Unterstellungskriterien: was ist geklärt, was bleibt offen?

     2. Welche öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen sind unterstellt,            welche nicht?

     3. Müssen BVG-Leistungen ausgeschrieben werden?

I. Einleitung

[Rz 1] Pensionskassen tätigen Anlagen in Wertpapiere und Immobilien. Die Personalversicherungen der öffentlichen Hand verhalten sich hier nicht anders als private Versicherungskassen: Sie treten auf dem Markt als Investoren auf, sie kaufen Liegenschaften, erstellen, unterhalten und bewirtschaften Bauten, um sich aus der Vermietung oder dem späteren Verkauf einen Ertrag zu sichern. Sie erteilen so Bau- und Dienstleistungsaufträge an private Anbieter, beschaffen Güter und schliessen Verträge ab. Die öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen haben diese Leistungen bisher meistens nicht über vergaberechtliche Verfahren eingekauft.

[Rz 2] Das Bundesgericht entschied im zur amtlichen Publikation vorgesehenen Entscheid 2C_6/2016 vom 18. Juli 2016 nun, dass die Aargauische Pensionskasse (APK) als kantonale Anstalt dem Vergaberecht unterstellt ist.

[Rz 3] Dies ist bedeutsam. Allerdings gilt: Das Bundesgericht hat seinen Entscheid nach der spezifischen gesetzlichen Regelung im Kanton Aargau getroffen, die sich von anderen kantonalen vergaberechtlichen Grundlagen unterscheidet. Die kantonalen oder kommunalen öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen in den übrigen Kantonen sind alleine aufgrund dieses Bundesgerichtsentscheid dem Vergaberecht noch nicht unterstellt; davon ausgenommen werden sie umgekehrt jedoch ebenfalls nicht ohne Weiteres.

II. Der Entscheid

1. Sachverhalt 

[Rz 4] Die APK ist Eigentümerin von Mietliegenschaften in Oftringen. Sie plant die etappenweise Sanierung von Küchen und Bäder in allen Wohnungen und schloss am 28. Februar 2014 mit einer Generalplanerin einen Vertrag über die Erbringung von Architekturleistungen mit einer Honorarsumme von CHF 300’000 ab. Diese Leistungen hatte sie nicht ausgeschrieben.

[Rz 5] Rund ein Jahr nach Vertragsabschluss schrieb die Beschwerdeführerin der APK und ersuchte um Informationen zum Stand des Beschaffungsverfahrens. Die APK schrieb ihr am 24. Februar 2015, dass es sich nicht um ein Geschäft handle, dass öffentlich ausgeschrieben werden müsse. Die Beschwerdeführerin reagierte innert weniger Tage mit einer Submissionsbeschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, beantragte, dass das Beschaffungsgeschäft öffentlich auszuschreiben sei und ersuchte um Gewährung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde.

[Rz 6] Die APK machte geltend, sie sei deshalb nicht dem Vergaberecht unterstellt, weil sie nicht staatsgebunden und dem freien Markt ausgesetzt sei, da sie eine gewerbliche Tätigkeit in einem wettbewerblichen Umfeld betreibe. Sie bezog sich dabei auf Art. 8 Abs. 1 lit. a Interkantonale Vereinbarung vom 25. November 1994/15. März 2001 über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB).1 Nach dieser Bestimmung unterstehen der IVöB im Staatsvertragsbereich der Kanton, die Gemeinden sowie Einrichtungen des öffentlichen Rechts auf kantonaler und kommunaler Ebene, mit Ausnahme ihrer kommerziellen und industriellen Tätigkeiten.

2. Urteil Vorinstanz

[Rz 7] Das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau hiess die Submissionsbeschwerde mit Urteil vom 11. November 2015 gut. Es stellte fest, dass die Beauftragung der Architekturleistungen gemäss dem Vertrag vom 28. Februar 2014 rechtswidrig erfolgt sei. Sie verpflichtete die APK, die noch ausstehenden Architekturleistungen wie auch einen Generalunternehmervertrag in einem Vergabeverfahren gemäss dem massgebenden öffentlich-rechtlichen Submissionsrecht auszuschreiben. Das Verwaltungsgericht drohte im Falle einer Widerhandlung gegen diese Anordnung eine Bestrafung nach Art. 292 des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB) an.

[Rz 8] Die Vorinstanz begründete die Unterstellung der APK damit, dass diese eine selbständige öffentlich-rechtliche Anstalt des Kantons sei und damit gemäss § 5 Abs. 1 lit. a des kantonalen Submissionsdekrets2 ohne weiteres vom Geltungsbereich erfasst werde. § 5 SubmD unterstelle die kantonalen Anstalten dem Vergaberecht ohne Ausnahmen und gehe weiter als die IVöB, die sich auf die Regelung der Grundzüge des öffentlichen Beschaffungsrechts beschränke. Abgesehen davon wäre, so das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, eine reine wirtschaftliche und damit kommerzielle Tätigkeit der APK nicht gegeben. Die Unterstellung umfasse, so die Vorinstanz, namentlich die Bewirtschaftung ihrer Immobilien im Anlagevermögen.

[Rz 9] Die APK gelangte gegen dieses Urteil mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht. Sie beantragte, dass das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und festzustellen sei, dass sie nicht dem kantonalen Vergaberecht unterstellt sei.

[Rz 10] Das Bundesgericht trat auf die Beschwerde zwar ein, wies sie jedoch mit Urteil vom 18. Juli 2016 ab.

3. Erwägungen des Bundesgerichts

a.   Eintretensvoraussetzungen

[Rz 11] Das Bundesgericht bejahte die Eintretensvoraussetzung der Frage von grundsätzlicher und erheblicher praktischer Bedeutung. So handle es sich bei der Beurteilung der Unterstellung der APK um eine Rechtsfrage, deren Entscheid für die Praxis wegleitend sei und die nach höchstrichterlichen Klärung rufe. So gehe es nicht um einen Einzelfall, sondern um alle kantonalen Pensionskassen, für welche eine analoge Regelung wie im Kanton Aargau bestehe (E. 1.4.2).

[Rz 12] Weiter bejahte das Bundesgericht die Legitimation der APK als Beschwerdeführerin in ihrer Stellung als Pensionskasse und als Versicherungsträgerin in der beruflichen Vorsorge gestützt auf Art. 89 Abs. 1 des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) (E. 1.5.2).

b. Prüfung der Unterstellung 

aa. Staatvertragsrecht (E.3)

[Rz 13] Die Unterstellung prüfte das Bundesgericht zuerst nach dem Staatsvertragsrecht und dabei dem Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA).3 Dessen Annex 2 Ziff. 2 sei, so das Gericht, massgebend mit der Formulierung «Les organismes de droit public établis au niveau cantonal n’ayant pas un caractère commercial ou industriel»; eine Bestimmung, wie sie interkantonalrechtlich durch Art. 8 Abs. 1 lit. a IVöB umgesetzt werde.

[Rz 14] Zu den nicht näher definierten Elementen dieser unterstellten Einrichtungen greift das Bundesgericht auf Fussnote 1 von Annex 3 des Anhangs I GPA zurück. Sie definierte diese wie folgt:

  • créé pour satisfaire spécifiquement des besoins d’intérêt général ayant caractère autre qu’industriel ou commercial,
  • doté d’une personnalité juridique et
  • dont soit l’activité est financée majoritairement par l’Etat, les collectivités territoriales ou d’autres organismes de droit public, soit la gestion est soumise à un contrôle par ces derniers, soit l’organe d’administration, de direction ou de surveillance est composé de membres dont plus de la moitié est désignée par l’Etat, les collectivités territoriales ou d’autres organismes de droit public.
     

[Rz 15] Das Bundesgericht geht davon aus, dass das zweite Element der Konstituierung als juristische Person erfüllt ist und beurteilt die weiteren, kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen detailliert.

Erstes Lemma (E. 3.3)

[Rz 16] Hier sind drei kumulative Tatbestandselemente zu erfüllen: die Gründung zu einem besonderen Zweck, einen im Allgemeininteresse liegenden Zweck und das Fehlen eines industriellen oder gewerblichen Charakters. Das Bundesgericht sieht diese Elemente als erfüllt an und argumentiert wie folgt:

  • Die APK sei zum Zweck gegründet worden, für die im Pensionskassendekret genannten Personen die berufliche Vorsorge durchzuführen;
  • Sie erfülle einen im Allgemeininteresse liegenden Zweck: Dieser umfasse nicht nur staatliche Aufgaben, sondern sei im Sinne des öffentlichen Interesses zu verstehen. Die berufliche Vorsorge sei nach Art. 111 und 113 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft (BV) ein Teil der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge und für unselbständig Erwerbende obligatorisch. Die berufliche Vorsorge sei im schweizerischen Recht als kollektive, im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe konzipiert und erfülle damit das Element des Allgemeininteresses;
  • Die APK sei nicht gewerblich tätig: Die öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen unterstünden zwar weitgehend denselben Vorschriften wie die privaten, trotzdem bestehe keine echte Wettbewerbssituation, da der APK von Gesetzes wegen die beim Kanton, dem Obergericht, den Gemeinden sowie den selbständigen Anstalten angestellten Personen zugewiesen würden.4 Insoweit müsse sich die APK nicht in einer Wettbewerbssituation gegen andere Vorsorgeeinrichtungen durchsetzen. Sie könne mit einer Anschlussvereinbarung weitere Arbeitgebende für die Versicherung ihres Personals aufnehmen. Hier stehe sie zwar in Konkurrenz zu anderen Vorsorgeeinrichtungen. Indessen sei dieser gewerbliche Teil kleiner als der nicht-gewerbliche mit den rund 55% der vom kantonalen Recht zugewiesenen Versicherten.
     

Drittes Lemma (E. 3.4)

[Rz 17] Das Element der Staatsgebundenheit beurteilt das Bundesgericht anhand der drei alternativen Kriterien «mehrheitliche öffentliche Finanzierung, öffentlicher Einfluss auf die Geschäftsführung oder mehrheitliche öffentliche Bestimmung des Leitungsorgans». Es kommt zum Schluss, dass keines davon erfüllt ist.

  • Keine mehrheitliche öffentliche Finanzierung: Die Arbeitgeberbeiträge des Kantons seien, so das Bundesgericht, nicht als öffentliche Finanzierung ohne Gegenleistung zu qualifizieren, da der Kanton dazu als Arbeitgeber und nicht als Hoheitsträger handle und als Gegenleistung die Versicherung seiner Arbeitnehmer erhalte. Als öffentliche Finanzierung wäre allenfalls eine Staatsgarantie zu betrachten, wenn sie ohne Gegenleistung erbracht werde.
  • Kein öffentlicher Einfluss auf die Geschäftsführung: Entscheidend dabei sei, ob die Entscheidungen der Einrichtung im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge beeinflusst werden könnten. Dies verneint das Bundesgericht vor dem Hintergrund der Gesetzesrevision vom 17. Dezember 2010. Diese verlangte, dass öffentlich-rechtliche Vorsorgeeinrichtungen ab dem 1. Januar 2014 autonom und rechtlich verselbständigt sowie organisatorisch und finanziell aus der Verwaltungsstruktur herausgelöst sein müssen. Ihre Aufsicht muss durch unabhängige, juristisch, organisatorisch sowie finanziell verselbständigte Behörden wahrgenommen werden.5 Die Einflussmöglichkeiten des Gemeinwesens seien somit begrenzt worden und die Aufsichtsbehörden seien nicht weisungsgebunden. Ein Einfluss der kantonalen politischen Behörden auf die Geschäftsführung einer Vorsorgeeinrichtung sei, so das Bundesgericht, von Bundesrechts wegen ausgeschlossen, insbesondere auch in Bezug auf die Vergabeentscheide.
  • Keine mehrheitliche öffentliche Bestimmung des Leitungsorgans: Von Bundesrechts wegen hat das oberste Organ einer Vorsorgeeinrichtung paritätisch aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusammengesetzt zu sein.6 Aus diesem Grund beurteilte das Bundesgericht dieses Kriterium ebenso als nicht erfüllt. 
     

Fazit (E. 3.5)

[Rz 18] Liegen bei öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen Umstände wie bei der Aargauischen Pensionskasse APK vor, ist keines der drei Kriterien des dritten Lemmas erfüllt. Das Bundesgericht verneinte die Unterstellung der APK unter den subjektiven Geltungsbereich des GPA.

bb. Kantonales Recht (E. 4)

[Rz 19] Das Bundesgericht hielt zunächst fest, dass das kantonale Recht den subjektiven Geltungsbereich nicht enger, aber weiter fassen könne als das Staatsvertrags-, Bundes- und interkantonale Recht (E. 4.1).

[Rz 20] § 5 Abs. 1 lit. a SubmD7 unterstellt dem Submissionsdekret des Kantons Aargau als Vergabestellen den Kanton und seine Anstalten. Die Vorinstanz habe erwogen, dass damit ebenfalls die selbständigen Anstalten des Kantons wie die APK erfasst werden sollten, ohne Ausnahme für kommerzielle Tätigkeiten, und dass im Kanton Aargau das kantonale Recht weiter gehe als Art. 8 Abs. 1 lit. a IVöB.

[Rz 21] Diese Auslegung des Submissionsdekrets durch die Vorinstanz sei nicht willkürlich, so das Bundesgericht. Vom klaren Wortlaut her falle die APK als Anstalt des Kantons unter § 5 Abs. 1 lit. a SubmD. Es sei keine unhaltbare Auslegung des kantonalen Rechts, wenn die Vorinstanz davon ausgehe, dass die in § 5 Abs. 1 lit. a SubmD genannten Stellen für alle in § 6 SubmD aufgeführten Aufträge dem Submissionsdekret unterstünden, ohne dass im Einzelnen noch geprüft werde, ob sie eine öffentliche Aufgabe wahrnehmen würden (E. 4.4).

[Rz 22] Die Vorinstanz habe willkürfrei entschieden, dass die APK dem kantonalen Vergaberecht unterstehe (E. 4.5.).

cc. Keine Verletzung von Bundesrecht (E. 5) und keine Verletzung der Wirtschaftsfreiheit (E. 6)

[Rz 23] Das Bundesgericht stellte sodann klar, dass das Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) keine explizite Regelung enthalte, wonach kantonales Vergaberecht für Vorsorgeeinrichtungen nicht gelte. Das Vergaberecht habe zumindest teilweise einen anderen Regelungsgehalt als das Berufsvorsorgerecht und bleibe neben diesem anwendbar (E. 5.4.3).

[Rz 24] Das Vergaberecht stehe zwar tendenziell in einem Spannungsfeld zum Erfordernis einer effizienten Vermögensbewirtschaftung. Entscheidend sei, dass das eigentliche Anlagegeschäft der APK, so der Erwerb von Grundstücken und Immobilien zur Kapitalanlage, dem Vergaberecht nicht unterstellt sei, da solche Vorgänge nicht vom objektiven Geltungsbereich des Vergaberechts erfasst würden. Die Unterstellung erfasse Arbeiten an Liegenschaften, die bereits im Eigentum der APK stünden. Die wirtschaftliche Verwaltung der Liegenschaften würde nicht erheblich beeinträchtigt. Die APK stünde dabei nicht unter dem gleichen Zeit- und Entscheidungsdruck wie beim Kauf von Anlageliegenschaften, und die sinnvolle Bewirtschaftung des Anlagevermögens und die Durchführung der beruflichen Vorsorge würde nicht vereitelt oder übermässig erschwert (E. 5.4.4).

[Rz 25] Schliesslich verneinte das Bundesgericht, dass sich die APK auf die Wirtschaftsfreiheit berufen könne, da sie ihre Versicherten mehrheitlich vom Gesetz zugewiesen erhalte und damit nicht im Wettbewerb zu privaten Vorsorgeeinrichtungen stehe (E. 6).

III. Bemerkungen

1.  Die Unterstellungskriterien: was ist geklärt, was bleibt offen?

[Rz 26] Art. 8 IVöB8, der die staatsvertragliche Regelung gemäss GPA auf kantonaler Ebene umsetzt, ist untergliedert in einen von Staatsverträgen9umfassten Bereich und einen Binnenbereich:10

Abs. 1: Staatsvertragsbereich

  1. Kantone, Gemeinden sowie Einrichtungen des öffentlichen Rechts auf kantonaler oder kommunaler Ebene mit Ausnahme ihrer kommerziellen oder industriellen Tätigkeiten;
  2. Behörden, öffentliche und private Unternehmen in den Sektoren Wasser- Energie- und Verkehrsversorgung;

 

Abs. 2: Binnenbereich

  1. weitere Auftraggeber als Träger von kantonalen oder kommunalen Aufgaben mit Ausnahme ihrer kommerziellen oder industriellen Tätigkeiten;
  2. private Auftraggeber, sofern sie zu mehr als 50% von der öffentlichen Hand11 subventioniert werden.
     

[Rz 27] Die Unterstellung von Kantonen und Gemeinden ist in der Regel unbestritten, soweit es nicht um Kooperationen mit privaten Auftraggebern geht. Komplizierter verhält es sich mit den in Abs. 1 lit. a genannten «Einrichtungen des öffentlichen Rechts (EöR)», um die es im Bundesgerichtsentscheid geht. Dabei handelt es sich um «staatsnahe» Institutionen12, wobei die IVöB die Voraussetzungen der Unterstellung nicht näher definiert.

[Rz 28] Das Bundesgericht verweist nun im vorliegenden Entscheid zunächst auf GPA, Annex 2 Ziff. 2 «Les organismes de droit public établis au niveau cantonal n’ayant pas un caractère commercial ou industriel» und greift für die einzelnen Elemente auf Fussnote 1 von Annex 3 des Anhangs I GPA zurück.

[Rz 29] Damit ist für die Unterstellung einer Einrichtung des öffentlichen Rechts EöR gemäss GPA und damit Art. 8 Abs. 1 lit. a IVöB geklärt, dass folgende Elemente kumulativ erfüllt sein müssen:

  • Die EöR ist eine juristische Person, die zu einem besonderen Zweck gegründet wurde: Unerheblich ist, ob es sich um einen öffentlich- oder privatrechtlich verfassten Auftraggeber handelt.13
  • Die EöR erfüllt einen im Allgemeininteresse liegenden Zweck: Das Bundesgericht definiert ihn weit als «im Sinne des öffentlichen Interesses zu verstehen». Entscheidend ist, dass nicht auf den engeren Begriff der staatlichen Aufgabenerfüllung abzustellen ist. Die berufliche Vorsorge ist eine solche im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe.
  • Die EöR ist nicht gewerblich oder kommerziell tätig: Das Bundesgericht stellt darauf ab, dass es von entscheidender Bedeutung ist, inwiefern die Organisation dem freien Markt ausgesetzt ist. Gewerblich meint, so das Bundesgericht, «tätig wie ein privates Wirtschaftssubjekt». Entscheidend ist, ob eine Konkurrenzsituation zu Privaten besteht. Dies setzt voraus, dass die Einrichtung dem Wettbewerbsdruck durch vom Staat nicht mehr beeinflusste Konkurrenz durch andere Marktteilnehmer ausgesetzt ist.14 Im konkreten Fall verneinte das Bundesgericht, dass eine echte Wettbewerbssituation vorliegt, weil die APK von Gesetzes wegen Angestellte als Versicherte zugewiesen erhält und sich hier nicht der Konkurrenz stellen muss.
  • Die EöR ist staatsgebunden: Staatsgebundenheit heisst alternativ «mehrheitliche öffentliche Finanzierung oder öffentlicher Einfluss auf die Geschäftsführung oder mehrheitliche öffentliche Bestimmung des Leitungsorgans». Hier ist mit dem Bundesgerichtsentscheid nun geklärt, dass die Arbeitgeberbeiträge des Kantons, die er wie ein privater Arbeitgeber zu leisten hat, nicht als öffentliche Finanzierung zu qualifizieren sind. Eine mehrheitlich öffentliche Bestimmung des Leitungsorgans liegt bei einer Pensionskasse mit dem nach Art. 51 BVG paritätisch aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern besetzten Leitungsorgan ebenfalls nicht vor.
     

[Rz 30] Nicht äussern musste sich das Bundesgericht zum Binnenbereich gemäss Art. 8 Abs. 2 IVöB, dessen Anwendungsbereich im konkreten Fall nicht zur Diskussion stand. Hier werden in lit. a weitere Auftraggeber erfasst, die Träger von kantonalen oder kommunalen Aufgaben sind, mit Ausnahme ihrer kommerziellen oder industriellen Tätigkeiten. Gemeint sind Auftraggeber, die nicht bereits gemäss Abs. 1 unterstellt sind. Die Staatsgebundenheit wird nach der Lehre – im Unterschied zum Staatsvertragsbereich nach Abs. 1 – gerade nicht vorausgesetzt.15 Daran würde vorliegend die Unterstellung von kantonalen oder kommunalen Vorsorgeeinrichtungen nicht scheitern. Hingegen nehmen öffentlich-rechtliche Vorsorgeeinrichtungen nicht kantonale oder kommunale Aufgaben wahr, wie dies für eine Unterstellung vorausgesetzt wird. Die berufliche Vorsorge als Teil der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge wird vom Bundesgesetzgeber in Anwendung von Art. 113 BV als Bundesaufgabe geregelt. Damit fällt eine Unterstellung nach Art. 8 Abs. 2 IVöB ausser Betracht.

2. Welche öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen sind unterstellt, welche nicht?

[Rz 31] Was klar ist: Mit dem Bundesgerichtsentscheid ist die Rechtslage zur Unterstellung der öffentlich-rechtlichen Pensionskasse im Kanton Aargau entschieden. Ebenso bleibt es dabei, dass die Unterstellung einer Versicherungseinrichtung nicht Tätigkeiten beim Erwerb von Grundstücken und Immobilien zur Kapitalanlage betrifft, da diese nicht vom objektiven Geltungsbereich des Vergaberechts erfasst werden. Weiter ändert sich mit dem Entscheid nichts zur Rechtslage im Bund. Der Bund kennt eine andere gesetzliche Regelung zur Unterstellung von Auftraggebern und diese werden nicht anhand funktionaler Kriterien, sondern nach dem System einer ausdrücklichen Benennung unterstellt.16

[Rz 32] Was offen bleibt: Aus dem Bundesgerichtsentscheid kann nicht auf eine Unterstellung aller kantonaler oder kommunaler öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen geschlossen werden. Umgekehrt gilt für die öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen in anderen Kantonen wiederum nicht, dass sie nur deshalb nicht unterstellt sind, weil sie keine wie der Kanton Aargau über das Konkordatsrecht und Art. 8 IVöB hinausgehende strengere Regelung zur Unterstellung von öffentlich-rechtlichen Anstalten kennen.

[Rz 33] Massgebend bleibt in allen anderen Kantonen als im Aargau der Einzelfall. Die jeweiligen kantonalen Erlasse sind daraufhin zu prüfen, ob eine über das GPA und Art. 8 Abs. 1 lit. a IVöB hinausgehende, strengere Regelung zur Unterstellung von Auftraggebern besteht. Bestehen vergleichbare Bestimmungen wie im Kanton Aargau ist die Unterstellung gestützt auf das kantonale Recht zu bejahen. Vereinzelt finden sich in den kantonalen Erlassen Aussagen zur Unterstellung von öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen. So sind sie im Kanton Graubünden von einer Unterstellung unter das Vergaberecht17 ausgenommen. Teilweise sind Formulieren vorhanden wie «soweit diese im Rahmen ihrer Anlagetätigkeit in ihr Finanzvermögen investieren»18 oder «kommerziell bzw. industriell tätig sind».19 Die Kantone Basel-Landschaft und Basel-Stadt sehen sodann die Unterstellung der Versicherungsanstalten des Kantons und der Gemeinden vor, «soweit es mit ihrem Zweck und mit den Vorschriften über die Bewirtschaftung ihres Vermögens vereinbar ist».20 Diese Bestimmungen sind nach den nun vom Bundesgericht aufgestellten Regeln auszulegen und anzuwenden.

[Rz 34] Sind die kantonalen und kommunalen Vorsorgeeinrichtungen alleine nach Art. 8 Abs. 1 lit. a IVöB zu beurteilen, ist entscheidend, ob im Einzelfall die Staatsgebundenheit gegeben ist, so beispielsweise, wenn zu Gunsten der öffentlichen Pensionskasse eine Staatsgarantie besteht.21 Sodann ist entscheidend, ob die Versicherungskasse gewerblich tätig ist. Daran fehlt es, wenn eine Zuweisungspflicht von Versicherten gesetzlich vorgeschrieben ist. Weitere Gründe können vorhanden sein, aus denen auf die fehlende Wettbewerbssituation und damit die fehlende Gewerblichkeit geschlossen werden muss.

3. Müssen BVG-Leistungen ausgeschrieben werden?

[Rz 35] Der Bundesgerichtsentscheid betrifft den subjektiven Geltungsbereich des Vergaberechts und das Thema, welche Auftraggeber unterstellt sind. Davon zu unterscheiden ist der objektive Geltungsbereich und damit die Frage, welche Leistungen die unterstellten Auftraggeber gemäss welchen vergaberechtlichen Bestimmungen auszuschreiben haben. Dazu äussert sich das Bundesgericht nicht, mit einer bereits erwähnten Ausnahme: Das Anlagegeschäft, das heisst insbesondere der Erwerb von Grundstücken und Immobilien zur Kapitalanlage, wird nicht vom Vergaberecht erfasst.

[Rz 36] Der Entscheid wirft darüber hinaus die Frage auf, ob dem Vergaberecht unterstellte Auftraggeber wie beispielsweise Bund, Kantone und Gemeinden die Leistungen für die berufliche Vorsorge des Personals der öffentlichen Hand nicht ausschreiben müssten. Die Vergabe von Leistungen für die berufliche Vorsorge wird vom objektiven Geltungsbereich der Beschaffungsgesetzgebung erfasst und sie sind je nach Auftragswert öffentlich auszuschreiben.22 Wenn wie im Kanton Aargau vorgeschrieben ist, dass die Versicherten bei einer eigens für sie errichteten öffentlichen Pensionskasse zu versichern sind, besteht keine Auswahlfreiheit für den öffentlichen Auftraggeber. Wird ein Leistungserbringer durch Rechtssatz vorgeschrieben und mit einem Auftrag betraut, so ist das keine dem Vergaberecht unterliegende Vergabe eines öffentlichen Auftrags.23 Solche Leistungen, die bei einer durch gesetzliche Vorschrift bestimmten Vorsorgeeinrichtung zu beziehen sind, sind nicht nach Vergaberecht zu beschaffen. Eine andere Frage ist allerdings, unter welchen Voraussetzungen eine solche Privilegierung einer öffentlich-rechtlichen Pensionskasse mit dem Grundsatz der Wettbewerbsneutralität zulässig ist.24

[Rz 37] Da, wo der Träger der beruflichen Vorsorge frei gewählt darf, wie zum Beispiel mit einer Anschlussvereinbarung, stehen einer Ausschreibung keine zwingenden Gründe entgegen. Wenn hier Gemeinwesen davon ausgehen, dass sie die Leistungen für die berufliche Vorsorge nicht ausschreiben zu haben, müssten sie sich auf die Voraussetzungen für eine vergaberechtsfreie «hausinterne» Beauftragung an die Vorsorgeeinrichtung abstützen können. Dies ist nicht möglich: Die Vergaberechtsfreiheit einer Auftragserteilung «Quasi In-House» zwischen zwei Rechtsträgern knüpft an die beiden vom EuGH25 entwickelten kumulativen Erfordernisse zur Kontrolle sowie Tätigkeit26 an:

  • Eine Direktvergabe ohne Ausschreibung durch einen dem Vergaberecht unterstellten Auftraggeber ist erstens nur an eine vollständig beherrschte und kontrollierte Tochtergesellschaft zulässig.
  • Zweitens wird vorausgesetzt, dass die direkt beauftragte Unternehmung im Wesentlichen für den sie kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber selber tätig und gerade kein Wettbewerbsteilnehmer ist. 
     

[Rz 38] Beide Kriterien werden in der Regel gerade nicht erfüllt sein und zum Kontrollerfordernis sind die Ausführungen des Bundesgericht im vorliegenden Entscheid bemerkenswert: Es führte bei der Prüfung der Staatsgebundenheit aus, dass ein Einfluss der kantonalen politischen Behörden auf die Geschäftsführung einer öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtung von Bundesrechts wegen ausgeschlossen sei. Mit der BVG-Revision vom 17. Dezember 2010 (in Kraft ab 1. Januar 2012/2014) sei ausdrücklich die Entpolitisierung der öffentlich-rechtlichen Vorsorgeeinrichtungen gefordert worden.27 Wenn es aber bei der Prüfung der Staatsgebundenheit am Element des öffentlichen Einflusses auf die Geschäftsführung fehlt, wird es auch an der für eine vergaberechtsfreie Quasi In-House-Vergabe geforderten Beherrschung und Kontrolle fehlen. Dies führt dazu, dass die Leistungen der beruflichen Vorsorge ausgeschrieben werden müssen, wenn nicht ein gesetzliches Obligatorium mit einer Zuweisung zu einer Versicherungskasse besteht. 

1 Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen vom 25. November 1994/15. März 2001 (veröffentlicht unter www.bpuk.ch, Website zuletzt besucht am 28. Oktober 2016).

2 Submissionsdekret des Kantons Aargau vom 26. November 1996 (SubmD; SAR 150.910).

3 GATT/WTO-Übereinkommen vom 15. April 1994 über das öffentliche Beschaffungswesen (Government Procurement Agreement [GPA]; SR 0.632.231.422).

4 § 2 Abs. 1 Dekret über die Aargauische Pensionskasse vom 5. Dezember 2005 (SAR 1553.120).

5 Art. 50, 51a und 61 Abs. 3 Bundesgesetz über die berufliche Vorsorge vom 25. Juni 1982 (BVG, SR 831.40); Botschaft des Bundesrats zur Revision des BVG, BBl 2008 8411, 8457f., 8466ff., 8468.

6 Art. 51 BVG.

7 Submissionsdekret des Kantons Aargau, zit. in FN 2.

8 Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen, zit. in FN 1.

9 Art. 8 Abs. 1 lit. a und b IVöB.

10 Nicht-Staatsvertragsbereich, Art. 8 Abs. 2 lit. a und b IVöB.

11 Bund, Kanton und Gemeinden kumulativ.

12 Beim Begriff der «Einrichtung des öffentlichen Rechts» handelt es sich um einen Auffangtatbestand, vgl. Hubert Stöckli, Der subjektive Geltungsbereich des Vergaberechts, in: Zufferey/Stöckli (Hrsg.), Aktuelles Vergaberecht 2008, Zürich 2008, Ziff. 18, S. 51f.

13 Beyeler Martin, Der Geltungsanspruch des Vergaberechts, Zürich 2012, Rz. 164, 182.

14 E. 3.3.3.1.

15 Hubert Stöckli, zit. in FN 12, S. 58.

16 Anhang 1/Annex 1 des GPA; Art. 2 Abs. 2 Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB).

17 Gesetz über die Pensionskasse des Kt. Graubünden vom 23. April 2013 (BR 170.450).

18 GE: Art. 7 Abs. 3 Règlement sur la passation des marchés publics  du 17 décembre 2007 (RSG L 6 05.01); NE: Art. 2 Règlement d’exécution de la loi cantonale sur les marchés publics du 3 novembre 1999 (RSN 601.720).

19 JU: Art. 4 Abs. 1 lit. b Ordonnance concernant l’adjudication des marchés publics  du 4 avril 2006 (RS JU 174.11) ; VD: Art. 1 Abs. 1 lit. b Loi sur les marchés publics du 24 juin 1996 (RSV 726.01).

20 Vgl. BL: § 4 Abs. 2 Gesetz über öffentliche Beschaffungen vom 3. Juni 1999 (SGS 420); BS: § 4 Abs. 2 Gesetz über öffentliche Beschaffungen vom 20. Mai 1999 (SR 914.100).

21 Urteil des Bundesgerichts 2C_6/2016 vom 18. Juli 2016 E. 3.4.2.

22 Beyeler, Geltungsanspruch, zit. in FN 13, Rz. 1079f. und 1081, mit Ausführungen zur unterschiedlichen Unterstellung im Staatsvertrags- und Binnenbereich, je nach Zuordnung zum obligatorischen oder überobligatorischen Leistungsbereich.

23 Beyeler, Geltungsanspruch, zit. in FN 13, Rz. 887.

24 BGE 138 I 378.

25 «Teckalkriterien», vgl. Urteil des EuGH vom 18. November 1999 C-107/98Teckal Srl gegen Comune di Viano und Azienda Gas-Acqua Consorziale (AGAC) di Reggio Emilia.

26 Beyeler, Geltungsanspruch, zit. in FN 13, Rz. 1223 ff.; Galli, Peter/Moser, André/Lang, Elisabeth/Steiner, Marc, Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts. 3. A., Zürich/Basel/Genf 2013, Rz. 252 f.

27 E. 3.4.2.