Aktuelle Rechtsprechung:
Listenspitäler unterstehen dem Vergaberecht

lic. iur. Claudia Schneider Heusi, L.L.M, Fachanwältin SAV für Bau- und Immobilienrecht 

1. Sachverhalt und Entscheid

Die GZO AG als Betreiberin des Spitals Wetzikon bezweckt die Sicherstellung des akutstationären Leistungsauftrags des Kantons Zürich im Oberland Zürich. Ihre Aktionäre sind ausschliesslich politische Gemeinden. Die GZO AG erbringt im Wesentlichen ambulante und stationäre Heilbehandlungen im Rahmen eines Spitalbetriebs und sie ist für verschiedene Leistungen im Bereich der Akutsomatik auf der Spitalliste des Kantons Zürich aufgenommen. 

Das Verwaltungsgericht Zürich entschied am 20. Dezember 2016, dass die GZO AG dem Vergaberecht unterstellt ist.[1] Das Gericht stützte damit den Regierungsrat, der im Rahmen seiner Aufsichtsfunktion[2] die GZO AG verpflichtet hatte, die Bestimmungen des öffentlichen Beschaffungswesens einzuhalten.[3] Die GZO AG hatte sich gegen die aufsichtsrechtliche Anordnung des Regierungsrats mit Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich gewehrt, drang jedoch mit ihren Argumenten, weshalb sie vergaberechtsfrei beschaffen könne, nicht durch. Nicht zulässig war es jedoch, dass der Regierungsrat auch die Mitglieder des Leitungsorgans unter Strafandrohung verpflichtet hatte, die Bestimmungen des Beschaffungsrechts einzuhalten.

2. Bemerkungen

a. Die massgebenden Kriterien

Art. 8 der Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB) definiert, welche Auftraggeber im Kanton Zürich vom Vergaberecht erfasst werden, und untergliedert dabei[4] in einen von Staatsverträgen umfassten Bereich[5] und einen Nicht-Staatsvertragsbereich.[6] Die Unterstellung von Kantonen und Gemeinden ist meist unstrittig. Komplizierter verhält es sich mit den sogenannten „Einrichtungen des öffentlichen Rechts (EöR)“. Im Rahmen der Urteilsbegründung setzte sich das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich mit der Frage auseinander, ob die GZO AG eine solche Einrichtung des öffentlichen Rechts nach Art. 8 Abs. 1 lit. a IVöB darstellt.

Dabei stützte sich das Gericht[7] massgeblich auf die staatsvertragliche Definition nach dem GPA[8], welche eine Einrichtung als eine solche des öffentlichen Rechts qualifiziert, wenn sie kumulativ:

  • Zum besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen, die keinen gewerblichen Charakter aufweisen,
  • Rechtspersönlichkeit hat,
  • und zusätzlich alternativ ihre Aktivitäten mehrheitlich öffentlich finanziert werden, ihre Geschäftsleistung öffentlich beeinflusst oder das Leistungsorgan mehrheitlich öffentlich bestimmt wird.  
     

Während die GZO AG über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt und somit die zweite Voraussetzung erfüllt ist, haben vor allem der „gewerbliche Charakter“ (vgl. nachfolgend bb) und die Staatsgebundenheit gemäss dem dritten Aufzählungszeichen (vgl. nachfolgend cc) Anlass zu einer wegweisenden Entscheidbegründung gegeben.

aa. Tätigkeit im Allgemeininteresse

Die Beschwerdeführerin ist gegründet worden, um den akutstationären Leistungsauftrag des Kantons Zürich im Zürcher Oberland sicherzustellen. Sie ist damit zum besonderen Zweck gegründet worden, eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe zu erfüllen. Dies war unbestritten.

bb. Gewerblicher Charakter

Ein gewerblicher Charakter einer Einrichtung öffentlichen Rechts liegt dann vor, wenn sie wie ein privates Wirtschaftssubjekt tätig ist, mithin in einer Konkurrenzsituation zu Privaten steht und dem vollen Wettbewerbsdruck ausgesetzt ist.[9] Ein solcher liegt nicht vor, wenn der Staat eine Einrichtung über seine Rolle als Aktionär hinaus finanziell unterstützt, zum Beispiel mit Subventionen oder in Form von Darlehen, die nicht den Marktkonditionen entsprechen. Ebenfalls kein ausreichender Wettbewerb liegt vor, wenn der Staat eine Einrichtung vor dem Eintritt neuer Konkurrenten schützt, indem er ein Monopol bildet oder die Anbieterzahl anderweitig beschränkt.[10]

Nach dem Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich besteht bei Listenspitälern im Bereich der obligatorischen Krankenpflegeversicherung weder bei ambulanten noch stationären Behandlungen ein ausreichender Wettbewerb. Da die Kantonsregierung bei der Vergütung der stationären resp. ambulanten Behandlungen gewichtige Planungs- und Regulierungsinstrumente innehabe (Genehmigung bzw. Festsetzung Tarifvertrag[11] etc.) bestehe, so das Gericht, kein freier Wettbewerb, weil die Anbieterseite im Bereich der obligatorischen Krankenkasse durch die jeweiligen Kantone bestimmt werde. Dafür sprächen auch die Tatsachen, dass Listenspitäler aufgrund der Kostenanteils des Kantons von mindestens 55 Prozent bei der Vergütung der Fallpauschale subventioniert würden und sie verpflichtet seien, auch „nicht rentable“ Patienten zu behandeln. Schliesslich führe diese starke Regulierung der Spitalangebote im Bereich der obligatorischen Krankenversicherung dazu, dass kein offener Wettbewerb um Patientinnen und Patienten zwischen den Listenspitälern bestehe. Zusammenfassend fehle es folglich am gewerblichen Charakter.[12]

cc. Staatsgebundenheit

Gemäss dem Gericht erfüllte die GZO AG mindestens eines der drei bei der Staatsgebundenheit massgebenden Alternativkriterien.[13]Ausschlaggebend war, dass bei der GZO AG das Leitungsorgan öffentlich bestimmt wird. Bei einer Aktiengesellschaft wird der Verwaltungsrat durch die Generalversammlung der Aktionäre gewählt (Art. 698 Abs. 2 Ziff. 2 OR). Da die Aktien der GZO AG vollständig im Besitz der beteiligten Gemeinden sind, ist für die Wahl des Verwaltungsrats und damit des Leitungsorgans zwingend die öffentliche Hand zuständig. Das zweite Alternativkriterium „mehrheitliche öffentliche Bestimmung des Leitungsorgans“ war demnach klar erfüllt, nachdem es hier sogar bereits genügen würde, wenn mehrere Gemeinden zusammen mehr als die Hälfte der Aktien einer AG halten würden.

Ob die GZO AG auch öffentlich finanziert wird, entschied das Gericht nicht abschliessend: Eine mehrheitlich öffentliche Finanzierung liegt dann vor, wenn die Hälfte der finanziellen Mittel aus öffentlicher Quelle stammen, ohne dass dafür eine direkte Gegenleistung bezahlt wird.[14] Die erste Voraussetzung „aus öffentlicher Quelle stammend“ ist deshalb, so das Gericht, erfüllt, weil der Kanton mindestens 55% der stationären Spitalleistungen in der Grundversicherung zu finanzieren hat. Gemäss den Ausführungen des Gerichts ist bei der zweiten Voraussetzung davon auszugehen, dass der Kanton keine spezifische Gegenleistung erhält, denn die vom Kanton finanzierte Leistung wird nicht für diesen, sondern für die Patientinnen und Patienten erbracht. Nach dem Verwaltungsgericht ist davon auszugehen, dass das dritte Alternativkriterium der mehrheitlichen öffentlichen Finanzierung ebenfalls erfüllt ist, auch wenn das Gericht angesichts des bereits erfüllten zweiten Alternativkriteriums (öffentliche Bestimmung des Leitungsorgans) von einer abschliessenden Beurteilung schlussendlich absah.[15]

b. Resultat: Die GZO AG ist unterstellt – und andere Listenspitäler?

Bei der GZO AG handelt es sich gemäss diesem Entscheid um eine Einrichtung des öffentlichen Rechts nach Art. 8 Abs. 1 lit. a IVöB. Sie fällt damit sowohl innerhalb wie auch ausserhalb des Staatsvertragsbereichs in den subjektiven Geltungsbereich des Vergaberechts.[16] Dies bedeutet, dass die GZO AG ihre Beschaffungen nach den vergaberechtlichen Vorschriften zu tätigen und insbesondere Leistungen offen auszuschreiben hat, sofern die jeweiligen Schwellenwerte erreicht werden und kein Ausnahmetatbestand vorliegt.

Mit dem Entscheid ist über den Einzelfall hinaus geklärt, dass die Listenspitäler im Kanton Zürich unabhängig von ihrer Rechtsform und ihrer Trägerschaft das Vergaberecht zu beachten haben. Ausschlaggebend dafür ist, dass Listenspitäler – seien sie öffentlich, seien sie privat – im Bereich der obligatorischen Grundversicherung nicht in einem wettbewerblichen Umfeld tätig sind. 

Ob damit alle Listenspitäler nach Art. 8 Abs. 1 lit. a IVöB als Einrichtungen des öffentlichen Rechts im Staatsvertragsbereich erfasst werden, oder „bloss“ im Nicht-Staatsvertragsbereich nach Art. 8 Abs. 2 lit. a IVöB als Träger von kantonalen oder kommunalen Aufgaben, musste das Gericht nicht beantworten. Ausschlaggebend dabei ist, ob das konkret zu beurteilende Listenspital als staatsgebunden zu qualifizieren ist. Die Staatsgebundenheit ist immer dann unzweifelhaft zu bejahen, wenn sich das Aktionariat mehrheitlich in Besitz von öffentlichen Auftraggebern wie Gemeinden befindet. Solche Spitäler – wie die GZO AG – sind nach Art. 8 Abs. 1 lit. a IVöB als „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ zu qualifizieren. Darüber hinaus ist nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichts bei privaten Listenspitälern ebenfalls von einer öffentlichen Finanzierung und damit einer Staatsgebundenheit auszugehen, wenn eine Kostenbeteiligung des Kantons an den Leistungen zu mehr als 50%, insbesondere gestützt auf Art. 49a KVG, vorliegt.

Fehlt es an einer der Voraussetzungen für die Staatsgebundenheit, sind Listenspitäler zumindest gemäss Art. 8 Abs. 2 lit. a IVöB gemäss den Bestimmungen im Nicht-Staatsvertragsbereich unterstellt.[17] Mit Abs. 2 von Art. 8 IVöB werden zusätzlich zum einen andere Träger kantonaler oder kommunaler Aufgaben erfasst, mit Ausnahme derer kommerziellen oder industriellen Tätigkeiten (lit. a) sowie Objekte und Leistungen, die zu mehr als 50% der Gesamtkosten mit öffentlichen Geldern subventioniert werden (lit. b). Art. 8 Abs. 2 IVöB unterstellt somit als Auffangtatbestand nicht staatlich kontrollierte oder finanzierte Einrichtungen bzw. Private dem Vergaberecht, wenn diese in Erfüllung einer kantonaler oder kommunaler Aufgabe tätig sind, oder diese Projekte oder Leistungen ausführen bzw. beschaffen, welche überwiegend von staatliche Subventionen finanziert sind. Bei dieser Regelung wird davon ausgegangen, dass solche Einrichtungen bei der entsprechenden Tätigkeit keinem normalen Wettbewerbsdruck ausgesetzt sind bzw. teilweise über gewisse Wettbewerbsvorteile verfügen und somit nicht die gleichen Anreize haben, ihre Beschaffungen alleine nach wirtschaftlichen Kriterien vorzunehmen.[18]

Die Unterscheidung einer Unterstellung nach Massgabe von Art. 8 Abs. 1 oder Abs. 2 IVöB ist unter anderem vor allem in einem Punkt bedeutsam: Bei einem staatsgebundenen Listenspital nach Abs. 1 erfolgt die Anknüpfung über die strukturelle Nähe zum Staat. Der Auftraggeber weist in Bezug auf seine Finanzierung oder die Geschäftskontrolle eine derartige Nähe auf, dass er dadurch als „staatsgebunden“ zu betrachten ist und man ihn somit – mit der Ausnahme, wenn er vollumfänglich gewerblich tätig ist – für sämtliche seiner Beschaffungen, unabhängig davon, ob sie gewerblich sind oder nicht, dem Vergaberecht unterstellt. Die strukturelle Staatsnähe führt dazu, dass er als öffentlicher und damit dem Vergaberecht unterstellter Auftraggeber bei allen seinen Beschaffungen dem Vergaberecht unterstellt ist, ungeachtet dessen, ob er ausschliesslich oder nur überwiegend im allgemeinen Interesse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art erfüllt.[19]

Die Unterstellung aufgrund von Art. 8 Abs. 2 IVöB dagegen begründet sich aus der konkreten öffentlichen Aufgabenerfüllung eines Auftraggebers.[20]Diese Tätigkeit „infiziert“ bei nicht staatsgebundenen Auftraggebern nicht deren weitere Beschaffungen. Es ist meines Erachtens deshalb davon auszugehen, dass nicht staatsgebundene Listenspitäler, die lediglich nach Massgabe von Art. 8 Abs. 2 IVöB erfasst werden, die weiteren Beschaffungen, die sie für Aufgaben tätigen, die ausserhalb des öffentlichen Auftrags im Bereich der obligatorischen Leistungen liegen, nicht nach dem Vergaberecht zu tätigen haben. Insofern ist die Unterscheidung, ob ein – öffentliches oder privates – Listenspital staatsgebunden ist oder nicht, von einiger Tragweite.

c. Aufsichtsrechtliche Massnahmen: was ist möglich, was nicht?

Nach Art. 19 Abs. 1 IVöB überwachen die Kantone die Einhaltung der Vergabebestimmungen vor und nach dem Zuschlag durch die Auftraggeberinnen und Auftraggeber sowie die Anbieterinnen und Anbieter; sie sehen Sanktionen für den Fall der Verletzung der Vergabebestimmungen vor. § 4 Abs. 3 Satz 1 Beitrittsgesetz delegiert die Regelung dieser Aufsicht an den Regierungsrat. Gemäss § 39 Abs. 2 SVO ist die jeweils für den Sachbereich zuständige Direktion Aufsichtsbehörde über die Vergabestellen, wobei die Aufsicht des Bezirksrats über die Gemeinden vorbehalten bleibt; die Oberaufsicht steht dem Regierungsrat zu. Gestützt auf diese Bestimmung konnte der Regierungsrat demnach in eigener Kompetenz aufsichtsrechtliche Anordnungen erlassen.

Gemäss § 39 Abs. 2 SVO erstreckt sich die Aufsicht nur auf Vergabestellen, nicht aber auf die für den Vergabeentscheid zuständigen Personen. Aufsichtsmassnahmen im Sinne einer Dienstaufsicht gegenüber den verantwortlichen Personen einer Vergabestelle lassen sich nicht auf diese Bestimmung abstützen. Der Regierungsrat konnte vorliegend deshalb zwar die GZO AG, nicht jedoch die Mitglieder deren Organe dazu verpflichten, die Bestimmungen des Vergaberechts einzuhalten. 

 

[1]    VGr ZH, Entscheid VB.2015.00555 vom 20.12.16, www.vgrzh.ch.

[2]    Gestützt auf § 39 Abs. 2 SVO i.V.m. Art. 19 IVöB.

[3]    Regierungsratsbeschluss RRB Nr. 758 vom 8. Juli 2015.

[4]    Auf der Basis von GPA Anhang I Annexe 2 und 3.

[5]    Art. 8 Abs. 1 IVöB.

[6]    Art. 8 Abs. 2 IVöB.

[7]    Mit Hinweisen auf BGE 142 II 369; Martin Beyeler, Der Geltungsanspruch des Vergaberechts, Zürich/Basel/Genf 2012, Rz. 166f.

[8]    GATT/WTO-Übereinkommen vom 15. April 1994 über das öffentliche Beschaffungswesen (Government Procurement Agreement [GPA], Fussnote 1 Annex 3; SR 0.632.231.422).

[9]    Beyeler, zit. in FN 7, Rz. 278.

[10] WEKO, Empfehlung Nr. 635/0034 vom 30. Juni 2014 zuhanden der VRSG und ihrer öffentlichen Aktionäre.

[11] Vgl. Art. 43 und 47 Krankenversicherungsgesetz KVG.

[12] VGr ZH, Entscheid VB.2015.00555 vom 20.12.16, E. 4.2-7, mit Verweisen auf Hans Rudolf Trüeb/Daniel Zimmerli, Spitalfinanzierung und Beschaffungswesen, Zürich/Basel/Genf 2012.

[13] VGr ZH, Entscheid VB.2015.00555 vom 20.12.16, E. 5.

[14] BGE 142 II 369; Beyeler, zit. in FN 7, Rz. 208 und 214ff.

[15] VGr ZH, Entscheid VB.2015.00555 vom 20.12.16, E.5.4.

[16] VGr ZH, Entscheid VB.2015.00555 vom 20.12.16, E. 6.1.

[17] Vgl. dazu Hans Rudolf Trüeb/Daniel Zimmerli, zit. in FN 9, Rz. 128 mit Hinweis auf Rz. 75 ff.

[18] Vgl. Beyeler, zit. in FN 7, Rz. 317. 

[19] Vgl. dazu und zur Infektionstheorie Beyeler, zit. in FN 7, Rz. 289 ff. und entsprechende Verweise in den Fussnoten; a.M. Trüeb/Zimmerli, zit. in FN 9, Rz. 143.

[20] Bzw. einer objektbezogenen Finanzierung (Art. 8 Abs. 2 lit. b IVöB).